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Aufgabe

Das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk” (ThürAZ) wurde 1991 zunächst unter dem Namen Matthias-Domaschk-Archiv Jena gegründet. Träger war und ist der Verein Künstler für Andere e.V., der aus der gleichnamigen Jenaer Gruppe der DDR-Opposition hervorgegangen ist. Die Gründung des Archivs stand in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der breiten gesellschaftlichen Debatte um die Funktion und Wirkung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Es diente zunächst der Aufbewahrung der Materialien der Repression in der SED-Diktatur, so etwa von Kopien der Akten des MfS.

Spätestens ab Mitte der 90er Jahre erfolgte ein Funktionswandel in der Arbeit des Archivs, im Mittelpunkt der Sammlungstätigkeit des ThürAZ standen und stehen seit diesem Zeitpunkt die Überlieferungen der Opposition und des Widerstandes selbst, dabei handelt es sich in der Regel um Egodokumente (s.a. Bestandsprofil).

Öffnungszeiten

Dienstag 9-15 Uhr 

Donnerstag 9-18 Uhr

sowie nach Vereinbarung

 

Telefonische Erreichbarkeit:

Mo, Di, Mi, Fr 9-15 Uhr

Do 9-18 Uhr

Aktuelles

Bericht zur Veranstaltung "Weggehen – Ankommen – Zurückkehren? Jenaer Lebenswege vor und nach 1989"

Zwischen Heimat und Fremde - „Mit dem Kopf waren wir schon länger im Westen“

Über 40 Besucher:innen füllten das Foyer der Ernst-Abbe-Bücherei voll aus. Gekommen waren sie, um von Jenaer Lebenswegen vor und nach 1989 zu hören und eigene Geschichten zu teilen. Der Abend des 25. Oktober 2025 stand ganz unter dem Motto „Weggehen – Ankommen – Zurückkehren?“. Zum Austausch eingeladen hatten das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte Matthias Domaschk (ThürAZ), das Geschichtsfestival Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte mit dem diesjährigen Schwerpunkt „Fremde [und] Heimat“ und die Jenaer Stadthistorikerin Dr. Jenny Price.

Im Mittelpunkt des Abends standen zunächst die Geschichten zweier Menschen, die Jena auf verschiedenen Wegen verlassen hatten und nach 1989 in die neuen Bundesländer zurückkehrten: Monika Lembke und Norbert Weinz. Nachdem Johannes Schleußner (Jenaer Dezernent für Bildung, Jugend, Kultur und Sport) und Dr. Andreas Braune vom Weimarer Geschichtsfestival den Abend eröffnet hatten, führte Katharina Kempken (ThürAZ) durch die Podiumsdiskussion mit den beiden Zurückgekehrten. Ebenfalls auf dem Podium saß Christian Hermann – Historiker an der Uni Erfurt und engagiert in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße. Er trug am Anfang des Gesprächs eine historische Einordnung zum Thema des Abends bei.

Flucht- und Ausreisebewegung im Kontext

So ist das Weggehen aus der ehemaligen DDR historisch aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. Während es der politischen Führung stets darum ging, Menschen am Verlassen des Staates zu hindern, wechselten jedoch die konkreten Umstände über die Jahre hinweg. Nachdem viele Menschen die DDR noch vor dem Mauerbau verließen, war dies nach 1961 nur noch über einen Ausreiseantrag oder eine Flucht möglich. Laut Christian Hermann sind beide Wege allerdings eng miteinander verbunden. Denn der Ausreiseantrag wurde von staatlicher Seite vor allem als Instrument betrachtet, um Fluchtversuche zu verhindern. Insbesondere im ersten Jahrzehnt nach dem Mauerbau gingen die Behörden dabei restriktiv mit Ausreiseersuchen um und ließen die Hoffnungen der Antragstellenden zerbrechen. Dies änderte sich jedoch Anfang der 1970er Jahre. Zum einen war die DDR infolge ihres UN-Beitritts im Jahr 1973 an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gebunden – auch wenn der Beitritt an sich nur mit dem Ziel internationaler Anerkennung verbunden war. Zum anderen war die KSZE-Schlussakte von Helsinki im Jahr 1975 mit ihren Inhalten zur Bewegungsfreiheit ausschlaggebend. Zusammen hatten diese Ereignisse theoretische und praktische Auswirkungen auf die Anträge der Ausreisewilligen: Sie konnten die internationalen Verpflichtungen in ihren Ausreiseanträgen nicht nur als Argumente heranziehen, sondern die Anträge wurden in der Folge auch tatsächlich häufiger bewilligt. Dass der Weg bis dahin trotzdem von zahlreichen Restriktionen und Repressalien begleitet wurde, zeigten die Geschichten der Anwesenden im weiteren Verlauf der Veranstaltung.

Monika Lembke und das Schicksal ihrer Familie

Ein anschauliches Beispiel sind die Erfahrungen von Monika Lembke und ihrer Familie. Nachdem sie im Jahr 1982 ihren Ausreiseantrag stellten, dauerte es ein Jahr, bis sie ausreisen durften. In dieser Zeit erlebten sie extreme Einschnitte mit fatalen Folgen. Ihr Mann wurde entlassen. Der älteste Sohn beging in der Folge von systematischer Ausgrenzung an der Schule im Jahr 1983 Suizid. Nach einer BStU-Recherche fanden sie heraus: Der damalige Rektor war Führungs-IM und konnte dadurch gezielte Zersetzungsmaßnahmen vorantreiben. Historisch eingeordnet, war dies eine der Folgen, dass Erich Mielke die Stasi bereits im Jahr 1977 anwies, ausreisewillige Bürger:innen mit geheimdienstlichen Maßnahmen zu belegen. Trotz dieser Umstände hielten Monika Lembke und ihr Mann an ihrem Weg fest. Wenige Monate vor ihrer Ausreise gründeten sie zusammen mit anderen Ausreisewilligen den Weißen Kreis in Jena. Inspiriert von anderen Ausreisegruppen wie in Berlin und nach dem Vorbild der Jenaer Friedensgemeinschaft trugen sie ihre Ziele öffentlichkeitswirksam in die Stadt. Am bekanntesten dürften hier die Aktionen auf dem damaligen Platz der Kosmonauten sein – heute trägt er den Namen Eichplatz: Die Gruppe trug weiße Kleidung, stellte sich im Kreis auf und hielt sich friedlich an den Händen. Schon nach wenigen Treffen kamen über 100 Teilnehmende. In der darauffolgenden Zeit stellten immer mehr Menschen Ausreiseanträge. Im August 1983 ging auch der Ausreisewunsch von Monika Lembke und ihrer Familie in Erfüllung. Sie kamen nach Heidelberg und gingen später nach Aachen. Monika Lembke konnte studieren und ihr Mann promovieren. Auch ihr jüngerer Sohn konnte studieren, ging dafür nach Maastricht und lebt nun in New York. Sie gingen also Wege, die ihnen in der ehemaligen DDR verwehrt wurden. Auch aus diesem Grund ist es Monika Lembke heute so wichtig, über ihr Schicksal aufzuklären. Nachdem sie im Jahr 2006 nach Erfurt und später nach Leipzig zog, verfolgt sie dieses Ziel allem voran auch in den neuen Bundesländern.

Die Flucht von Norbert Weinz

Ein anderes Schicksal erlebte Norbert Weinz. Auf dem Podium erklärte er, wie er in den 1970ern in der Jenaer Szene unterwegs war, wo er unter anderem Rockmusik hörte und in WGs lebte. Auch für ihn war die fehlende Freiheit ein Grund, einen Ausreiseantrag zu stellen. Diesen reichte er im Jahr 1976 ein, erhielt jedoch eine Absage. In der Folge organisierte er mit einer Freundin und zwei weiteren Mitstreitern eine Flucht. Obwohl auch Norbert Weinz die damalige Situation mit einem Satz beschreibt, der diesen Abend öfter fiel: „Mit dem Kopf waren wir schon länger im Westen“ – von der Flucht wussten auch viele aus seinem Umfeld nichts. In den Kofferräumen zweier Autos schafften sie es schließlich über Michendorf in den Westen nach Helmstedt. Nach der Flucht erlebte Norbert Weinz ein enormes Freiheitsgefühl, reiste mit wenig Geld unter anderem in die USA, nach Syrien und Jordanien. Aus familiären Gründen kehrte auch er zurück in die neuen Bundesländer. Dort erinnerte er sich nostalgisch an die Jugendzeit. Denn: Viele Freiheiten wurden den Menschen in der ehemaligen DDR genommen, aber die persönlichen Erfahrungen jenseits von Staat und Politik konnte die Diktatur nicht verhindern. Seit dem Jahr 2019 lebt er wieder in der Nähe von Jena.

Es gibt noch viel mehr zu erzählen

Diese beiden Geschichten von Monika Lembke und Norbert Weinz zeigen bereits: Die Menschen in der ehemaligen DDR durchliefen vollkommen unterschiedliche Lebenswege, die alle erzählenswert sind und eine eigene Veranstaltung verdient hätten. Der Versuch dazu war ein Erzählcafé, das den zweiten Teil der Veranstaltung in der Ernst-Abbe-Bücherei bildete. Hier waren alle Anwesenden eingeladen, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen, zuzuhören und ins Gespräch zu kommen. Dabei entwickelte sich eine schöne Dynamik, weil alle Generationen vertreten waren. So kam zum Austausch zwischen den Zeitzeug:innen hinzu, dass jüngere Teilnehmende ein großes Interesse an der damaligen Zeit hatten.

An den einzelnen Gruppentischen spiegelte sich wider, dass die Menschen in der ehemaligen DDR ganz unterschiedliche Erfahrungen machten. So konnten die einen kaum glauben, dass die anderen ihren Ausreiseantrag nach nur wenigen Tagen bewilligt bekamen, während sie selbst teils mehrere Jahre warten mussten oder mit ihrem Antrag ganz erfolglos blieben. Andere Gesprächsgruppen diskutierten wiederum stärker über das Für und Wider von Ausreise und Flucht. Während von allen wahrgenommen wurde, wie aufwendig es war, die ehemalige DDR zu verlassen, unterscheiden sich die konkreten Wege, die von den Betroffenen zur damaligen Zeit eingeschlagen wurden. Im Mittelpunkt stand der Zwiespalt, die Folgen für die eigenen Angehörigen nicht absehen zu können und ohne die mitunter liebgewonnenen Weggefährt:innen gehen zu müssen. Viele konnten auch nicht auf die Hilfe zurückgreifen, die einigen für ihre Flucht oder Ausreise zuteilwurde – sei es finanziell, praktisch oder moralisch. Wer blieb, entschied sich entweder dazu „mitzuspielen“ oder fühlte sich so fremd, dass nur das Selbstverständnis als politische und teilweise auch proletarische Opposition übrig blieb. Auch wenn diese einzelnen Lebenswege für die breite Öffentlichkeit damals kaum sichtbar waren, galten sie in den Gesprächen dieses Abends doch als ein Ausdruck für den allmählichen Zusammenbruch der DDR.

In der kurzen Zeit konnten die vielfältigen Geschichten nur anklingen. Ein weiterer Austausch ist zweifelsohne lohnenswert. Wer sich weiter mit der Frage des Weggehens, Ankommens und Zurückkehrens beschäftigen möchte, ist eingeladen, in das Buch von Monika Lembke zu schauen, das auch auf der Veranstaltung für Interesse sorgte: „Wir dulden noch viel zu viel. Der Weiße Kreis - ein stiller Protest, der in die Freiheit führte“. Ebenso freuen sich die Veranstaltenden, Interessierte bei kommenden Gesprächsabenden wieder begrüßen zu dürfen; so etwa am 10. Dezember 2025 im ThürAZ, wo Monika Lembke aus ihrem Buch liest.

Veranstaltungsbericht & Foto: Kevin Gimper

Lesung mit Monika Lembke: „Wir dulden noch viel zu viel. Der Weiße Kreis – ein stiller Protest, der in die Freiheit führte“

Am Mittwoch, den 10. Dezember 2025 um 18 Uhr liest Monika Lembke im Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Matthias Domaschk" aus ihrem Buch "Wir dulden noch viel zu viel. Der Weiße Kreis - ein stiller Protest, der in die Freiheit führte" (2024).

Monika Lembke stellte in Jena 1982 zusammen mit ihrem Mann, Dr. Dietrich Lembke, einen Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR. In dessen Folge waren sie und ihre Familie Schikanen und Zersetzungsmaßnahmen durch das Ministerium für Staatssicherheit ausgesetzt.

Im Sommer 1983 rief das Ehepaar Lembke zusammen mit anderen Ausreisewilligen den "Weißen Kreis" ins Leben. Jeden Samstag protestierte die Gruppe schweigend auf dem Platz der Kosmonauten (heute Eichplatz) für die Genehmigung ihrer Ausreise. Der Protest wurde über Berichte in westlichen Medien auch in anderen Bezirken der DDR bekannt. Immer mehr Menschen schlossen sich an.  

Während einigen Protestierenden die Ausreise genehmigt wurde – so auch dem Ehepaar Lembke - , wurden andere Teilnehmer:innen des Weißen Kreises inhaftiert und teils erst nach über einem Jahr Haft von der Bundesrepublik freigekauft.

Monika Lembke verarbeitet das Schicksal ihrer Familie in dem Buch "Wir dulden noch viel zu viel. Der Weiße Kreis – ein stiller Protest, der in die Freiheit führte". Der Thüringer Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Matthias Domaschk" und laden herzlich zur Lesung und Diskussion ein! 

Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei.

Vorstand des Trägervereins neu gewählt

Im Rahmen einer Mitgliederversammlung hat am Freitag, den 7. November 2025 der Trägerverein des ThürAZ, Künstler für Andere e. V., seinen ehrenamtlich tätigen Vorstand neu gewählt.

Als Vorstandsvorsitzender wurde Tilo Schieck gewählt. Seine Stellvertretung übernimmt Andreas Ilse. Als weitere Vorstandsmitglieder wiedergewählt wurden Dr. Anne Stiebritz und Dr. Rüdiger Stutz. Den ebenfalls ehrenamtlichen Rechnungsprüfungsausschuss bilden Angelika Jordan-Schön und Heike Sommer. 

Wir gratulieren im Namen aller Vereinsmitglieder ganz herzlich zur Wahl und freuen uns auf die (weitere) Zusammenarbeit! 😊🎉

Sponsoren und Förderer