


Künstler für Andere
Im Herbst 1986 entwickelt ein Jenaer Freundeskreis die Idee für eine selbstständige und vor allem von staatlichen Kampagnen unabhängige Form der Solidaritätsarbeit mit der 2/3-Welt. Angedacht ist eine Folge von Veranstaltungen, deren Erlös Projekten in der 2/3-Welt zugute kommen soll. Zunächst als „Podium für Andere“ bezeichnet, entsteht die Reihe „Künstler für Andere“. Der Name der Reihe wird dann auch die Bezeichnung für die Vorbereitungsgruppe.
Zu diesem Zeitpunkt bestehen bereits Kontakte zu anderen 2/3-Welt-Gruppen in der DDR, so etwa über Gerold Hildebrand zum Vorbereitungskreis der Berliner Veranstaltungsreihe „Künstler in Aktion gegen den Hunger in Afrika“. Die Jenaer Gruppe greift das bereits seit Anfang der 1980er Jahre vorhandene Konzept der Solidaritätsveranstaltungen mit Lesungen, Konzerten, Theater und Ausstellungen auf. Bis 1990 finden in Jena insgesamt 24 Veranstaltungen mit KünstlerInnen aus der DDR im Rahmen der Reihe „Künstler für Andere“ statt.
Die Erlöse der Abende fließen mehrheitlich in Hilfsprojekte der 2/3-Welt, welche durch die Arbeitsgemeinschaft „Information, Koordination, Tagungen“ (INKOTA) der Evangelischen Kirche vermittelt und zum Teil organisiert werden. Neben diesem Schwerpunkt unterstützt die Gruppe „Künstler für Andere“ aber auch Projekte in der DDR: So fließt beispielsweise der Erlös der Veranstaltung am 5. Juni 1987 in die Umwelt-Bibliothek Berlin. Der Ansatz der Gruppe ist über die Unterstützung von Solidaritätsprojekten mit der 2/3-Welt hinaus deutlich erweitert: Es geht um eine solidarische Gesellschaft, die Hilfe zur Selbsthilfe, ob in Lateinamerika, Afrika oder in der DDR. So lautet denn auch der Untertitel zur Reihe: „Projekte, Alternativen, Solidarität“.
Gleichzeitig schafft die Gruppe über ihre Veranstaltungen einen Artikulationsraum für KünstlerInnen in der SED-Diktatur, die zumindest in Teilen Ende der 1980er Jahre keine Möglichkeit mehr hatten außerhalb des kirchlichen Raumes ihre Arbeiten vorzustellen. Dies beginnt in der ersten Veranstaltung am 6. Februar 1987 mit Uwe Kolbe und Rüdiger Rosenthal, setzt sich fort mit Autoren wie Lothar Trolle, Lutz Rathenow oder Stephan Krawczyk, und endet unter nunmehr veränderten Bedingungen 1990 mit Jürgen Fuchs. Damit entsteht in Jena neben Orten wie der Jungen Gemeinde Stadtmitte ein weiterer, temporärer Ort der „Zweiten Öffentlichkeit“. „Künstler für Andere“ thematisiert immer wieder auch aktuelle politische Ereignisse: die Initiative für eine Volksabstimmung zum weiteren Umgang mit der Kernenergie 1987, die Durchsuchung der Umwelt-Bibliothek im November 1987 oder die Verhaftungen im Zusammenhang mit der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1988 in Berlin.
Im September 1990 wird der Verein Künstler für Andere e.V. gegründet, der die Förderung solidarischen Handelns durch kulturelle Veranstaltungen fortsetzen soll. Hier werden jedoch sehr schnell Grenzen deutlich. KünstlerInnen sind in wesentlich stärkerem Maße auf ihre Einnahmen angewiesen, dazu kommen nun Mieten, Betriebskosten, Steuern und bei veränderten gesellschaftlichen Problemlagen und breiterem kulturellen Angebot ein gravierender Publikumsschwund. Das Konzept kann daher nicht in der bisherigen Form fortgeführt werden.
1991 wird innerhalb des Vereins das Matthias-Domaschk-Archiv (Jena) gegründet, das heutige Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“ (ThürAZ). Es ist das Archiv der Opposition in der SED-Diktatur im Freistaat Thüringen. Künstler für Andere e.V. ist bis heute Träger des Archivs.
Quellen
Veranstaltungsflyer zur Eröffnung der Reihe „Künstler für Andere“, 1987
Veranstaltungsflyer „Künstler in Aktion gegen den Hunger in Afrika“, 1987
TLZ zur Veranstaltung mit Jürgen Fuchs, Januar 1990