Privatarchiv | Sengewald, Matthias |
Bezugsorte | Erfurt, Dresden, Leipzig |
Umfang | 7 lfm. |
Zeitraum | 1974-1995 |
Stichworte | |
Erschließung | Datenbank |
Signatur | P-SeM |
Matthias Sengewald wird 1955 in Ostritz geboren, wo das Ende des Zweiten Weltkrieges durch die deutsch-polnische Grenze stets gegenwärtig ist. Er wächst in einem DDR-kritischen Umfeld auf und beschäftigt sich früh mit politischen, philosophischen und theologischen Themen, befördert durch Christenlehre und Junge Gemeinde. Nach einer Berufsausbildung mit Abitur im sozialistischen Großbetrieb Schwarze Pumpe beschließt er, den vorgezeichneten Weg zum Ingenieurstudium nicht zu gehen, sondern ab 1974 eine Ausbildung zum Jugenddiakon im Evangelisch-Lutherischen (Ev.-Luth.) Diakonenhaus Moritzburg zu absolvieren. Hier setzt die umfangreiche Sammlung Sengewalds, welche von seinem starken Friedensengagement innerhalb der ev. Jugendarbeit in der DDR geprägt ist, ein. Diverse Arbeitsordner tragen thematische Titel wie „Rüstungspolitik“, „Friedensbewegung“, „Kirche im Sozialismus“ oder „Zwei-Drittel-Welt“, aber auch „Ev. Jugendarbeit“. Sie enthalten vor allem kirchliche Arbeits- und Informationsmaterialien, beispielsweise vom Bund der Ev. Kirchen in der DDR, Materialien kirchlicher Friedensinitiativen, wie beispielsweise den Aufruf „Sozialer Friedensdienst“ (SoFD) um Christoph Wonneberger 1981, aber auch Materialien unabhängiger Friedensgruppen. Daneben gibt es die Ordner „Basisrundbriefe Königswartha“ mit Materialien des ökumenischen Basisseminars der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) und „Gesetze DDR“. 1978 tritt Sengewald seine erste Dienststelle im Neubaugebiet Dresden-Leuben an, einer großen Gemeinde mit vielen Kindern und Jugendlichen. Fortan berät er Wehrpflichtige über Möglichkeiten der Wehrdienstverweigerung und organisiert Vorbereitungswochenenden für Einberufene. Er selbst verweigert, wie viele Auszubildende in Moritzburg, den Waffendienst in der Nationalen Volksarmee. Dieses jahrzehntelange Engagement führt er auch ab 1990 mit dem Aufbau der „Seelsorge an Soldaten“ in Erfurt und als Mitarbeiter im Arbeitskreis (AK) Soldatenseelsorge der Kirchenprovinz Sachsen weiter. Die Sammlung enthält neben dem Ordner „Wehrdienst“, welcher auch Sengewalds eigene Unterlagen der Waffendienstverweigerung von 1978 bis 1985 enthält, auch Unterlagen zur sozialistischen Wehrerziehung in der DDR sowie Arbeitsordner aus den 1990er Jahren, betitelt mit „Soldaten Seelsorge“, „Zivildienst, Kriegsdienstverweigerer“ und „Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“ in Erfurt (1994/95). Ab 1983 ist Sengewald als Stadtjugendwart in Leipzig tätig. Hier leitet er die Vorbereitungsgruppe der jährlichen Friedensdekaden und bietet auch Aktionsgruppen, welche politische Öffentlichkeit suchen, ein Podium. Daneben übernimmt Sengewald die organisatorische Leitung der Arbeitsgruppe (AG) Friedensdienst von dem damaligen Theologiestudenten Heinz Bächer. Um die Basisgruppen zu vernetzen und deren wachsendem Wunsch nach Teilhabe an gesellschaftskritischen Auseinandersetzungen zu entsprechen, gibt Sengewald ab 1984 mit Brigitte Moritz den Samisdat „Kontakte. Frieden – Umwelt – Dritte Welt“ heraus. Auch die seit 1982 in der Nikolaikirche stattfindenden Friedensgebete werden aufgrund der zunehmenden Anzahl politisch arbeitender Basisgruppen zum Kristallisationspunkt. Hier nutzt Sengewald seine umfangreiche Zeitungssammlung und verknüpft in Zitaten aktuelles Zeitgeschehen mit christlichem Engagement. In den Ordnern „Friedensgruppen Leipzig“ und „Jugendpfarramt Leipzig – Veranstaltungen“ befinden sich Arbeitsmaterialien von Dienstbesprechungen, Jugendwartkonventen, Jugendtagen, Friedensdekaden, Friedensgebeten, Gottesdiensten für Wehrpflichtige, aber auch von der AG Friedensdienst sowie von anderen Basisgruppen und Veranstaltungen, beispielsweise von der AG Umweltschutz mit der Fahrrad-Demonstration „Mobil ohne Auto“ und dem Samisdat „Streiflichter“. An Samisdat erhalten sind zudem „Aktuell“, „Aus Unveröffentlichtem“, „Schnellinfo“, „Wegzehrung“ und „Wendezeit“ des Friedenskreises der Samaritergemeinde Berlin, „Arche Info“ und „Arche Nova“ des Grün-ökologischen Netzwerkes Arche Berlin, „Aufrisse“ des Radix-Verlages Berlin, „Ausblick“ des Kirchenkreises Magdeburg, „Das Erfurter Filterpapier“ des Grün-ökologischen Netzwerkes Arche Erfurt und Berlin, „Erfurter Schlagloch“ der Kirche von Unten (KvU) / Offene Arbeit Erfurt und Berlin, „Frieda“ der CFK Kapellendorf, „Kopfsprung. Das Fanal“ der KvU und „Wahlfall 89. Eine Dokumentation“ der Koordinierungsgruppe Wahlen Berlin. Die DDR-Zeitungssammlung beinhaltet vorwiegend „Glaube und Heimat“, „Die Kirche“ und das „Neue Deutschland“. Im Oktober 1986 wechselt Sengewald als Stadtjugendwart nach Erfurt. Auch hier leitet er die jährlichen Friedensdekaden und ist an den seit 1978 in der Lorenzkirche stattfindenden Friedensgebeten beteiligt. Zudem wirkt er intensiv an der Ökumenischen Versammlung (ÖV) „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ mit und nimmt an regelmäßigen Treffen Friedensengagierter aus Leipzig und Thüringen mit Gästen aus der Bundesrepublik/ Stuttgart bei Pfarrer Heinz Bächer in Trockenborn teil. In zwei Ordnern „Konziliarer Prozess/ ÖV“ und „Arbeits- und Informationsmaterial ÖV“ befinden sich Protokolle, Korrespondenz und Arbeitsmaterial des ÖV-Büros Erfurt, insbesondere zur Tagung „Mehr Gerechtigkeit in der DDR“ am 12. November 1988 im Augustinerkloster Erfurt. Dieses Material verdeutlicht, ebenso wie der vom Ev. Stadtjugendpfarramt Erfurt herausgegebene Samisdat „Plattform. Konziliare Nachrichten“, dessen Bedeutung als Anlaufstelle für die kirchlichen Basisgruppen. Am 40. Jahrestag der DDR, am 7. Oktober 1989, findet in der Kaufmannskirche ein Gottesdienst statt, in welchem ein Flugblatt des Stadtjugendpfarramtes mit zehn Forderungen zu Reise-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, für freie Wahlen, zur Einberufung eines Runden Tisches und zur Einhaltung der Verfassung der DDR verlesen wird. Auch an fast allen ab dem 26. Oktober1989 parallel zur Lorenzkirche in der Predigerkirche durchgeführten Friedensgebeten ist er aktiv beteiligt. Im Hefter „Friedensgebet Erfurt“ sind die von den Vorbereitungsgruppen für Friedensgebet und Demonstration formulierten politischen Forderungen sowie Textbausteine und Inhalte der Friedensgebete bis April 1991 dokumentiert. Überliefert ist zudem ein Ordner „Friedensgruppen, -aktivitäten, -vereinigungen“ mit Materialien von Erfurter Initiativen wie dem Grün-Ökologischen Netzwerk Arche, dem Erfurter Luftseminar der Umweltgruppe in der OASE Erfurt 1989, zum Thema Neues Denken ab 1987, bis hin zum Aktionskreis gegen den Golfkrieg 1991. Darüber hinaus zeigt Sengewald ab Ende 1986 starkes kommunalpolitisches Engagement, ist Mitbegründer der AG Stadt- und Wohnumwelt in der Stadtmission Erfurt – ab Ende 1989 Bürgerinitiative Altstadtentwicklung Erfurt – und setzt sich gegen Abrisse in der historischen Altstadt ein. Im Mai 1989 beschäftigt sich Sengewald intensiv mit der Beobachtung der Kommunalwahl. Im Herbst 1989 beteiligt er sich im Neuen Forum und zieht von 1990 bis 1999 als Abgeordneter der Liste „Neues Forum/ GRÜNE“ in das Erfurter Stadtparlament ein. Die Unterlagen der Bürgerinitiative Altstadtentwicklung Erfurt befinden sich bis auf einzelne Logo- und Werbemittelentwürfe im Stadtarchiv Erfurt. Der Ordner „Kommunalwahlen 1989, Kirche 1989/90, Wahlen 1990“ beinhaltet unter anderem das von Sengewald auf der Druckmaschine der Stadtmission Erfurt gedruckte Flugblatt „Wahl – Betrug oder Beleidigung?“ Die Ormig-Druckmaschine gehört ebenfalls zur Sammlung. Zahlreiche Ordner und Hefter wie „Gesellschaftspolitik, Umweltschutz und Denkmalschutz“, „Kommunalpolitik“, „Kommunalpolitik Erfurt, Die Grünen“ und „Kreisverband Erfurt/ Bündnis 90/ Die Grünen“ unterstreichen eindrücklich seine Mitarbeit in der Neugestaltung kommunaler Politik insbesondere im Bereich Jugend und Stadtentwicklung. Auch die Zeitung Die Alternative / Thüringer Alternative des Landesverbandes Bündnis 90 / Die Grünen ist ab der ersten Ausgabe von 1990 bis 1998 vorhanden. Die enthaltene Fotosammlung dokumentiert vor allem Szenen der Transformationszeit 1989/90 in Erfurt, wie die Demonstrationen im November 1989, darunter auch die der Künstler und Kulturschaffenden am 19. November1989, die Bürgerwache vor der Bezirksverwaltung (BV) des Ministeriums für Staatssicherheit im Dezember 1989, die Menschenkette „Bürgerwall“ der Bürgerinitiative Altstadtentwicklung vom 10. Dezember 1989, das Solidaritätskonzert zum Hungerstreik von Mitgliedern der Bürgerwache in der Andreasstraße im April 1990, das Bauprojekt „Haus der Kultur“ am Hirschgarten im Juni 1990 sowie das Projekt „DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“ 1995. Weitere Einblicke in Biografie und zeithistorischen Kontext bietet ein biografisches Interview.